Der Tod ist allgegenwärtig
- Matthias Blümel
- 7. Juni 2021
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 20. Aug. 2021

Durch meinen Beruf habe ich doch viel mit dem Tod zu tun. Er ist ein stiller Begleiter. Ich kann über den Tod reden. Viele aus pflegerischen Berufen sehen das bestimmt so wie ich. Wenn Menschen in unseren Einrichtungen sterben, sagen wir meistens: "Er hat es geschafft".
Meine Omi erzählte schon viele Jahre von ihrem Tod. Sie hat sich mit dem Thema sehr auseinander gesetzt. Vor einigen Jahren war sie im Krankenhaus. Dort wurde ihr ein faustgroßer Tumor aus dem Darm entfernt. Auch nach dieser Operation war es stets ein Thema. Meine Omi hat ihren Tod, bis auf das Ableben, geplant. In den letzten Jahren konnte man zusehen, wie ihr Körper immer weniger wurde. Sie wurde schwächer und schwächer.
Wir haben viele Jahre keinen Kontakt gehabt. Vor 10 Jahren hat meine Omi mich das letzte Mal besucht. Da wohnte ich noch in der Nordheide bei Buchholz. Wir sind mit ihr jeden Tag stundenlang durch die Heide gefahren. Dies war übrigens nach ihrer Knieoperation. Sie war tapfer und eisern. Sie hat sich die Erschöpfung nicht anmerken lassen. Sie hat ein letztes Mal mein damaliges Lieblingsessen gekocht: Gulasch "ungarische Art". Wir waren mit ihr in Lüneburg. Sie schaute gerne die Serie "Rote Rosen". Wir haben uns gemeinsam die Kulisse dort angeschaut. In der Fußgängerzone haben wir noch einen riesengroßen Erdbeereisbecher gegessen.
Meine Omi lebte mit ihrem Freund zusammen. Mein Opa war schon vor vielen Jahren, mit 67, gestorben. Sie lebten in einem Häuschen in Penzlin in der Warener Chausse. Sie hatten viele Katzen, ich glaube fünf. Einige hatte ihr Freund schon, als sie zusammen zogen. Eine Katze holten sie sich gemeinsam. Den "Flori". Flori war ein kleiner Schelm. Er war sehr frech und scheu. Er liebte Raucherfinger. Die er mit Begeisterung ableckte. Die Katzen waren ihr Leben. Flori war nur im Haus und durfte auch nur in Begleitung in den Garten. Jede Katze hatte ihr eigenes Körbchen in der Garage, bis auf Flori, der durfte sogar mit im Bett schlafen.
Der Flori wurde sehr krank und starb. Sie verloren eine Katze nach der anderen. Letztendlich war noch die "Uschi" übrig. Uschi ist taub und ein wenig fett. Uschi durfte dann alle Vorzüge genießen, die ihr vorher verwehrt wurden.
Meine Oma sagte immer: "Wenn der Flori vor mir stirbt, weiß ich nicht, ob ich das überlebe." Dieser Satz klingelt noch heute in meinen Ohren.
Sie hat es überlebt. Doch sie wurde schwächer und schwächer.
Heute kann ich sagen, dass ich froh bin und war, dass meine Omi noch so einen lieben Mann gefunden hat. Sie sagte mal zu mir: "Ich bin so froh, dass ich ihn hab. Es ist so schön!"
Leider ist der Kontakt wieder abgerissen. Schuld waren mit Sicherheit wir beide. Vor 2 Jahren haben wir sie das letzte Mal gesehen. Ich bin froh, sie so in Erinnerung zu haben. Meine Oma hat sich immer gewünscht, kein großes Tammtamm um ihre Beerdigung zu machen. Auch das war Thema bei dem letzten Besuch. Wir schauten uns Fotos von unseren Urlauben an.
Am 19. Mai erfuhr ich, dass meine Omi im Hospitz liegt. Es waren ihre letzten Stunden. Die Nachricht erhielt ich am Vormittag, und sie schwebte den ganzen Tag über mir. Ich lenkte mich durch Arbeit ab. Ich hatte ab dem nächsten Tag Urlaub. Als ich zuhause war, konnte ich nicht mit meinem Freund darüber reden. Erst als die erste Flasche Wein geleert war, platzte es aus mir heraus. Mein Gesicht machte, was es wollte. Ich hatte die Kontrolle über mich verloren. Ich weinte und es hörte nicht auf. Auch jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, kostet es mich Kraft, nicht wieder die Kontrolle zu verlieren. Ich werde diesen Abend nicht so schnell vergessen. Ich kann gar nicht sagen, was mir alles durch den Kopf ging in diesen Momenten. Ich weiß, dass ich froh war mit ganz viel Trauer und Mitleid. Den nächsten Tag bin ich mit diesen Gedanken aufgewacht und es brach mir wieder das Herz. Ja, ich glaube, mein Herz war gebrochen. Ich las meine Nachrichten auf dem Telefon und wußte erst dann, dass meine Omi um 21:30 Uhr eingeschlafen war.
Die ganze Welt wirkte auf einmal so anders. Nicht als würde etwas fehlen. Sie war einfach anders. Die Sonne schien anders, der Wind wehte anders. Ja, selbst das Wasser der Elbe war anders.
Diese Woche, am 10., findet die Urnenbeisetzung statt. Ich werde nicht dabei sein. Sie wollte das nicht. Sie hat es auch immer wieder gesagt. Ich respektiere ihren Wunsch und werde sie so in Erinnerung behalten, wie ich sie in unseren gemeinsamen letzten Momenten erlebt habe. Die Omi, die immer das Leben spaßig gesehen hat und trotzdem nicht den Ernst des Lebens verkannt hat. Eine Frau, die Höhen und Tiefen in Ihrem Leben erlebt hat. Trauer und Freude. Eine starke Frau. Die stärkste, die ich kannte.
Meine liebe Omi, du bist jetzt da, wo keiner weiß, wo es ist. Ich weiß nicht, ob wir uns wiedersehen, wenn es das gibt. Wenn ja, werde ich mich sehr über deine Gesellschaft freuen.
Dein "Gustav"

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